Kurzschluss in Langschlag – eine Schreibwerkstatt

Einen Erfahrungsbericht wollte ich liefern. Über die Schreibwerkstätte, an der ich letztes Wochenende teilgenommen habe, zur Orientierung für alle, die sich auch mit dem Gedanken tragen, ein intensives Wochenende lang im Kollegenkreis zu schreiben. Nun bin ich aber früher abgereist. Warum? Und warum ihr trotzdem hinfahren und nach Möglichkeit dortbleiben solltet:

Bereits seit zehn Jahren organisiert Robert Kraner, inzwischen assistiert von seinem Sohn Jakob, Schreibseminare. Voreingenommene behaupten, beim Institut für Sprachkunst an der Wiener Universität für angewandte Kunst handle es sich lediglich um eine Dependance  der Langschläger Werkstätten, in denen die Größen der österreichischen Literaturszene als Tutoren wirken. Gründe genug jedenfalls, um mit einer Langschlag-erfahrenen Freundin in den Selbstversuch zu starten.

Wo Langschlag liegt? Im hintersten Waldviertel, hinter Zwettl, hinter Rapottenstein, hinter Groß Gerungs, hinter Harruck sogar. Vor der Tschechischen Grenze allerdings. Von Wien aus betrachtet. Womit ich schon beim Seminarthema wäre: Vom Geheimnis der Perspektiven und der Verben soll sie handeln, die Werkstätte unter der Leitung von Lydia Mischkulnig, und Spannung in unsere Texte zaubern.

Der Abend der Ankunft am Donnerstag gestaltet sich vielversprechend. Seminarort ist der Wurzelhof, ein historischer Vierkanter, gleich gegenüber der Kirche. Neben großzügigen Arbeitsräumen bietet er Gästezimmer, eine einladende Wirtsstube, einen geschützten Garten und eine Eingangshalle mit Sitzecke. Ein vielfältiges Raumangebot also, das den Austausch mit den insgesamt zwanzig Seminarteilnehmern der beiden gleichzeitig stattfindenden Werkstätten fördert. Das Essen übertrifft die Erwartungen erheblich und im Lauf der Vorstellungsrunde erstaunt die kompetente Zusammensetzung der Gruppe, die durchwegs aus erfahrenen, großteils gar professionellen Schreiberinnen besteht. Mehrere Schlaftrunke später tänzle ich gegen Mitternacht ins Bett.

Ein guter Morgen beginnt mit einem deftigen Frühstück und einer ebensolchen Schreibaufgabe. Nach der Präsentation unserer – in den meisten Fällen eher zufällig erkorenen – Lieblingsverben sollen auf Basis von Postkartenmotiven Räume imaginiert und Personen geschaffen und bis zur Mittagspause beschrieben werden. Ich bin erleichtert, dass es mir überhaupt gelingt aus der Perspektive einer jungen Frau, die mit geschlossenen Augen rauchend an einer Metallwand lehnt, einen Außenraum zu skizzieren.

Dann Fisch, Salat, Gemüsereis, Birnenstrudel und Kaffee im Garten, garniert mit ungezählten Gesprächen über Gott und Welt und Bisonfleisch.

Am Nachmittag die Textbesprechung. Es sind lebendige und sensible Beschreibungen dabei, nüchterne, originelle und situationsbezogene. Jede Textskizze wird so ausführlich und von allen besprochen, als handle es sich um ein fertiges Stück Prosa. Textbesprechungen also von 15 bis 21:30 Uhr mit einer einstündigen Pause für das Abendessen. Von Text zu Text fällt es mir schwerer, mich zu Konzentration und Wertschätzung zu zwingen, zumal die Gedanken immer wieder zum eigenen Ansatz wandern, aus dem am nächsten Tag eine Kurzgeschichte entstehen soll. Zuletzt ist der eigene Plot gedanklich skizziert, der letzte Text besprochen und nicht nur ich bin streichfähig. Was mich aber nicht hindert mit den wenigen, die noch nicht vor Erschöpfung ins Bett gefallen sind, noch das eine und andere Glas zu leeren.

Um fünf Uhr früh erwache ich. In meinem Kopf scheppert es, als würde eine Ladung Kieselsteine hineingekippt. Alle Gespräche, die ich geführt, die Texte, über die ich nachgedacht, die Menschen, denen ich begegnet bin, von der verhaltensoriginellen Servierkraft im Frühstücksraum über die spannenden Kolleginnen bis zu den Seminarleitern. Dazu diese spezielle Waldviertelatmosphäre, die selbst den unwilligsten Geistern kurzfristig esoterische Flausen in den Kopf zu setzen vermag. Overload. Systemüberlastung. Kurzschluss. Bei jeder Synapse blinkt es rot und plötzlich ist klar: Schreiben kann ich an diesem Tag sicher kein Wort. Ich öffne die Terrassentür, die Nachtluft stinkt nach Schweinemist und füllt die letzten Zwischenräume in meinem Hirn. So gesehen kann ich nicht einmal behaupten, ich hätte über meinen Entschluss abzureisen noch lange nachgedacht.

Nach dem morgendlichen Briefing verkünde ich meinen Entschluss. Einige Überredungsversuche – über die ich mich freue! – und eine Besprechung des vorab eingesandten Textes mit der ob meines Entschlusses etwas verstört wirkenden, aber nichtsdestotrotz bezaubernden Lydia Mischkulnig, dann packe ich meine Sachen.

In einem Akt ehelicher Solidarität verzichtet mein Mann auf die geplante Mountainbiketour, um mich abzuholen und sich auf der Heimreise mein Dauerseufzen anzuhören. Langsam löst sich der Gedankenbeton und zwei Fritattensuppen – ja, beide für mich – und einen Eiskaffee in Krems später beginnt mein System mit der Selbstreparatur und ich fange an zu verdauen und zu erzählen.

Eine Unzahl von Anregungen und Eindrücken habe ich mitgenommen, von denen sicher einige in meine Arbeit einfließen werden, sobald ich sie angemessen und in meinem Tempo verdaut haben werde. Allein das war die Reise wert. Nur Textarbeit und Schreiben und spannende Menschen und, und, und – das ist mir zu viel auf einmal. Den anderen Teilnehmern allerdings nicht. Es sollen großartige Geschichten entstanden sein, erzählt meine Freundin.

Wenn ich also etwas raten soll, dann das: Probiert es selbst aus! Die Atmosphäre ist einzigartig und Input gibt es zuhauf. Vielleicht versuche ich es ja selbst eines Tages wieder. Dann nehme ich mir gleich vor, nach eineinhalb Tagen abzureisen und will dann sicher nichts mehr als bleiben. Nur eines darf Schreiben für mich nie werden: ein Muss.

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2 Antworten zu Kurzschluss in Langschlag – eine Schreibwerkstatt

  1. Ménard schreibt:

    Das macht mich immer fertig. Jeder Literaturagent, jeder Lektor muss immer und ständig Wein trinken und ein deftiges Mahl verzehren. Warum eigentlich? Das kostet nur Zeit. Chips raus, Cola auf den Tisch – geht auch.

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