Sträuben sich die Nackenhaare, wenn ich mit den Schultern zucke?

Venedig ist ja eine Stadt, die man erleben muss, ohne der Versuchung zu erliegen, sie auch beschreiben zu wollen. Und wer doch schwach wird, sollte die Produkte seiner Bemühungen gnädig für sich behalten. Weil alles schon tausendfach beschrieben, gemalt und milliardenfach fotografiert worden ist. Kitsch, Kitsch, Kitsch!

Da ich gerade zurück bin aus dieser Referenzstadt jedes romantischen Gemüts, den Kopf voller Bilder, die ich nicht loswerden darf, lenke ich meine Energien geringfügig um. Kitsch, Klischees und floskelhafte Sprache – was darf man, was ist unvermeidlich, was geht gar nicht?

Demnächst werde ich meinen Roman überarbeiten. Dabei gilt mein Kampf einerseits den Füllwörtern und Adjektiven, die scheinbar nachts aus unterbeschäftigten Platinen schlüpfen und sich lauschige Plätze im Text suchen, wo ich sie sicher nie hingeschrieben habe. Andererseits habe ich naturgemäß auch floskelhafte Formulierungen und Klischees im Visier. Erst kürzlich wurden solche tückischen Biester in einem Facebook-Thread meiner lieben Kollegin Ella Theiss gesammelt.

Ein paar Beispiele: Blut gefriert in Adern, Nackenhaare sträuben sich, Augen verengen sich zu Schlitzen, Bänke laden zum Sitzen ein, für leibliches Wohl ist gesorgt, Räume werden in fahles Licht getaucht, Herzen schlagen bis zum Hals, Fingerknöchel treten weiß hervor, fieberhaft wird nach allem Möglichen gesucht.

Gedankenlos reproduzierte Floskeln, die uns in Fleisch und Blut übergegangen sind (sic!) Dabei ist der bildhafte Kitsch (gefrierendes Blut, bis zum Hals schlagende Herzen, in Fleisch und Blut übergegangene Gewohnheiten …) und die klischeehafte Verwendung von Adjektiven (fahles Licht, fieberhafte Suche, blutrote Lippen, heiße Schenkel) leichter und hoffentlich seltener aufzuspüren, als  die prinzipiell brauchbaren Beschreibungen, die allein durch inflationäre Verwendung an Kraft verloren haben.

Hände ballen sich zu Fäusten, Augenbrauen heben sich, Fingerknöchel treten weiß hervor, der Puls rast und wir zucken mit den Schultern, schütteln den Kopf. Auch das darf einigen Hardcore-Originalisten zufolge keinesfalls sein. Was also sonst? Müssen unsere Protagonisten ihren Gefühlen anders Ausdruck verleihen und beispielsweise vor einem Wutanfall mit den Ohren wackeln, anstatt die Faust zu ballen? Oder soll man die Hand zur Faust schließen, krampfen, verdichten anstatt sie zu ballen? Weil zuckende Schultern zu ideenlos scheinen liest man gelegentlich: Er hob die Schultern. Und dann? Lässt er sie wieder sinken? Umständlich! Bleibt er mit erhobenen Schultern stehen gibt es aber auch kein schönes Bild.

Kurz, ich finde, es darf und soll einen gewissen Bodensatz an vertrauten Formulierungen geben. Das befördert die Lesbarkeit ungemein. Krampfhafte Originalität, bis zum letzten Wort runtergebrochen, bremst mich als Leserin, weil ich dauernd irgendwo hängenbleibe und im schlimmsten Fall regelrecht aus dem Text gekickt werde. Und so lenke ich meine Erfindungskraft auch beim Schreiben lieber auf suggestive Formulierungen an Schlüsselstellen, als das Rad dauernd neu zu erfinden (Floskelalarm!). Sicher, Blicke müssen nicht geworfen werden und Bänke nicht zum Sitzen einladen, aber wenn jemand die Augen verdreht, den Kopf schüttelt oder die Hände in die Hüften stützt, dann kostet mich das nur ein Schulterzucken. Weil mir das vertraut ist, weil ich das auch tue. Sofern mich nicht gerade sanfte Schauer überlaufen oder ich mir vor Lachen auf meine makellos weißen Schenkel klopfe.

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