„Schreib doch mal was Persönliches!“, hat eine flüchtige Bekannte mich vor Kurzem nach Lektüre meines Blogs aufgefordert, „Über die Kinder vielleicht und wie dein Mann damit umgeht, dass du seit Jahren schreibst und noch immer kein Bestseller dabei ist. Das würde mich mehr interessieren, als …“
Ihr an dieser Stelle ganz versehentlich ein Glas Orangensaft über die Hose zu kippen, war ein Akt der Diplomatie. „Nein, sicher nicht!“, hätte ich sonst sagen müssen, „Ich erzähle dir doch auch nichts Persönliches, ganz einfach, weil ich dich nicht gut genug kenne und sich das nach dieser Konversation kaum ändern wird. Ich habe nicht genug Vertrauen zu dir!“ Hier hätte ich gelächelt, um den Smiley zu ersetzen, der solche Aussagen in der schriftlichen Kommunikation entschärft. Dann hätte sie sich vermutlich verarscht gefühlt. Ganz schlecht für mein Karma! Also besser Orangensaft.
Tatsache ist: Ich habe auch zu dir kein Vertrauen. Oder zu Ihnen, falls wir per Sie sind. Weil wir uns nicht kennen, nicht einmal oberflächlich. Und noch weniger Vertrauen habe ich zu der schwammigen Wolke Internet, die alles, was ich von mir gebe, archiviert und kategorisiert, um mich mit zielgruppenspezifischer Werbung zu attackieren.
Wenn ich also etwas schreibe, was persönlich klingt, dann habe ich es mit 70%iger Sicherheit erfunden. Die Restmenge Bekenntnisdrang ist locker untergehoben und nur für Eingeweihte herauszuschmecken. Als Beweis dafür dient mir die breitgestreute Desorientiertheit der auf mich abgefeuerten Werbung. Bloß Schuhe, doch, die mag ich wirklich. Schwöre!
Im Vertrauen: Ich habe es versucht! Mein erstes literarisches Werk war wohl, was man gemeinhin als Schlüsselroman bezeichnet. Doch auch ein solcher enthält neben wenigen Fakten eine Vielzahl an Interpretationen, Projektionen, dramaturgisch geratenen Zuspitzungen und Gedankenexperimenten. Die Vorbilder der Protagonisten waren not amused, wenn auch geschmeichelt, fühlten sich missverstanden oder zu gut verstanden und nach der Lektüre außerstande, Erinnerung noch von Fiktion zu unterscheiden. Mir ging es ebenso.
Die Erinnerung an eine kurze Periode meines Lebens ist durch Fiktionalisierung ausgelöscht. Eine interessante Erfahrung, die ich nicht wiederholen möchte. Anders als die vielen Schriftsteller, deren literarischer Antrieb die therapeutische Aufarbeitung des eigenen Leben zu sein scheint, findet man mich in meinen Texten seit damals nur in Details.
Der erwähnte Roman ist übrigens unter einem anderen Namen erschienen und nicht mehr erhältlich. Vielleicht gibt es ihn auch gar nicht. Mein Leben ist kein offenes Buch. Und wenn doch, dann jeden Tag ein anderes 🙂
Boah, wie fies! Orangensaft hätte da bei weitem nicht ausgereicht! Ich finde auch den Gedanken interessant, dass wir als Blogger verpflichtet sein sollen, die Interessen anderer zu bedienen. Besonders, wenn wir Autoren sind. Hier helfen keine platten Anfeuerungsversuche wie: Mach weiter so oder Hör nicht auf zu schreiben! (Was wir sowieso nicht tun), sondern nur: Mir gefällt, was Du da geschrieben hast. Zunickende Grüße, Julia
P.S.:Mir gefällt, was Du da geschrieben hast.
Danke 🙂 Aber der Gedanke, dass man sich bemüht zu schreiben, was anderen gefällt ist ja auch wieder nicht ganz von der Hand zu weisen, da man wir ja gelesen werden wollen …
Ich habe vor wordpress bei einem anderen Anbieter einen Blog geschrieben – mit fiktionalen Texten, mit meinen ersten Gehversuchen im Musikjournalismus und manchmal auch mit persönlichen Dingen, die ich mir von der Seele schreiben musste.
Seltsamerweise sind die Leser auf Dinge à la „Jetzt habe ich mir einen Kaffee gemacht (mit ein bisschen Salz, das macht das Wasser weich) und werde jetzt zu meiner Klavierlehrerin fahren, obwohl ich diese scheussliche Tonleiter immer noch nicht kann, aber zum Glück holt mich mein Liebster danach ab“ am meisten abgegangen. Hier scheint es mehr Leute zu geben, die um des Lesens willen lesen und um des Schreibens willen schreiben – und weniger aus Neugier oder Seelen-Exhibitionismus.
… und trotzdem werde ich auch oftoftoft nach den Wahrheitsanteilen meiner Geschichten gefragt 🙂 Die es auch immer gibt – aber so verdreht, verzerrt, vom Kopf auf die Beine gestellt und gespiegelt, dass es eine eigene Geschichte ergäbe, wenn ich das erklären wollte.
Ein Hoch auf den Orangensaft!
Ich teste hier auch einfach mal aus, was funktioniert, also viel gelesen wird, und was nicht. Die Ergebnisse überraschen mich allerdings immer wieder. Auf jeden Fall hast du recht: Was aus dem Leben gegriffen ist oder scheint bekommt mehr Klicks.
… auch wenn es noch so banal und alltäglich ist 🙂