Nie wieder soll sie das Aroma von kaltem Rauch und Achselschweiß ertragen müssen, dessen Penetranz sie mir auch an diesem Morgen wieder vorgehalten hat. Als wäre nicht sie selbst die Ursache der Lähmung, die mich von jeder alltäglichen Verrichtung abhält.
Heute ist es soweit. Heute werde ich sie von der Bürde meiner Existenz erlösen. Mir eine eigene Wohnung zu suchen, wie sie nicht müde wird zu verlangen, ist unnötiger Aufwand. Sie hat sich taub gestellt, als ich ihr das erklärte, fuhr einfach fort, die Tassen aus dem Geschirrspüler zu räumen. Die Wörter prallten an ihr ab, wie alles, was in diesen letzten Wochen von mir kommt. Schwer hängen sie in der Luft, meine Bitten, meine Versprechungen, tiefes Luftholen fast unmöglich.
Der Schritt in die Freiheit will gut geplant sein. Seit Wochen schon male ich mir aus, wie ich das Haus verlassen werde. Der Rucksack, den zu verwenden sie mir verboten hat, weil jedermann an dem farbenfrohen Logo der Bank erkennen könne, dass es sich um wertlosen Plunder handle, der Rucksack hängt seit Tagen gepackt am Garderobenhaken, ohne dass sie ihn auch nur einer giftigen Bemerkung gewürdigt hätte.
Gleich werde ich die Goretex-Jacke anziehen und die Wanderstiefel schnüren, werde den Rucksack schultern und ausgehen. Ich werde mich auf den Weg zur U-Bahn machen. Der Zug wird mich bis zur Endstation mitnehmen, von der aus ich in viertelstündigem Fußmarsch den Nebeneingang des Wildparks erreichen werde, der sich über eine Fläche von zweitausendvierhundertundfünfzig Hektar erstreckt. Reichlich Platz, um mein Vorhaben ungestört und mit der gebotenen Konzentration in die Tat umzusetzen, zumal, so verspricht mir die Webpräsenz des Parks, das Gelände derzeit für die Öffentlichkeit geschlossen bleibt, um eine ungestörte Aufzucht des Jungwildes zu ermöglichen. Jede Störung durch fröhliche Familienausflügler ist somit ausgeschlossen.
Ich werde über das hölzerne Tor klettern. Die milde Frühlingsluft, das Vogelgezwitscher, das Leuchten der jungen Triebe im Sonnenlicht werden mir kostbarer erscheinen als je zuvor. Etwa eineinhalb Stunden werde ich über weiche, laubbedeckte Waldwege wandern, bis ich meinen Lieblingsplatz erreicht habe: Die Eiche, unter deren ausladenden Ästen ich schon als Kind auf einer karierten Decke saß, von der Mutter mit Nudelsalat und Apfelkuchen gefüttert.
Heute werde ich mich nicht damit begnügen auf einer Wurzel sitzend den Rücken an die schartige Rinde zu lehnen. Obwohl es mir schwer fallen wird, werde ich den mächtigen Stamm erklimmen. Mit schmerzenden Fingerspitzen werde ich mich an der rauen Borke emporziehen, atemlos auf dem ersten Ast ankommen. Von da an wird es etwas leichter werden.
Sobald ich mich von der anstrengenden Kletterei erholt habe, werde ich rittlings auf dem Ast vom Stamm wegrutschen. In etwa drei Metern Höhe ist dabei Vorsicht geboten, weshalb ich mich langsam weiterschieben werde, Zentimeter für Zentimeter, bis kein Zweig mehr den Blick auf den Waldboden hindert. Der Umfang des Astes wird an dieser Stelle etwa dem meines Oberschenkels entsprechen. Er wird unter meinem Gewicht leicht schwanken, und ich erlaube mir einen kurzen Moment des Schwindels, dann einen des Stolzes darüber, dass ich es tatsächlich bis hierher geschafft habe.
Während ich mühsam die Balance halte, ziehe ich den Rucksack auf meinen Schoß und öffne ihn. Das Seil liegt zuoberst.
Das ist nicht das Ende der Geschichte. Wer weiterlesen will, kann das hier tun: http://www.amazon.de/Tod-im-Gr%C3%BCnen-ebook/dp/B00B2KHYQ0/ref=sr_1_2?s=books&ie=UTF8&qid=1369995896&sr=1-2&keywords=gudrun+lerchbaum