Management by Fear mit Bier

Heute wird es nicht lustig, leider. Weil ich mich immer noch ärgere …

Bei mexikanischem Bier und Enchiladas durfte ich gestern in kleiner Runde wichtige Einblicke in die Prinzipien heimischer Großkonzerne gewinnen. Anwesend waren außer mir drei Führungskräfte unterschiedlichen Ranges, beschäftigt in zwei multinationalen Unternehmen. Schwierig. Meine naive Ansicht, dass bei Unternehmensentscheidungen auch das Wohl der Mitarbeiter berücksichtigt werden müsse, stieß auf milde lächelnden Widerspruch eines Diskutanten. Internationale Experten, so der mit einem hübschen Sträußchen an ebenfalls internationalen Aufsichtsratsposten dekorierte Manager, seien sich einig, dass die Sorge um die Mitarbeiter kein Kriterium für Entscheidungen sein dürfe. Wer anders denke, sei als Führungskraft ungeeignet.

Nun bin ich prinzipiell mit einem gewissen Misstrauen gegenüber zitierten Autoritäten ausgestattet, deren angeblich unantastbare Erkenntnisse jede weitere Diskussion unnötig machen. Experten sind ja (Achtung, Sakrileg!) auch nur Menschen, von eigenen Lebens- und Gesellschaftskonzepten geprägt, und gelangen daher zu unterschiedlichen Schlüssen. Ich konterte also, dass ich diese Geringschätzung der Mitarbeiter für eine bedauerliche Modeerscheinung hielte, da ich aus der Zeitung wüsste …

Zeitung, haha! Das galt natürlich nicht! Schließlich sprach ich mit einem Mann der Praxis. Dessen herablassende Reaktion, die nur auf meine Inkompetenz und nicht auf das Argument einging, ließ mich dann kurz ausflippen, bis alle sich peinlich berührt zurücklehnten. Kurzzeitig hielt ich meinen Mund und lernte:

Dass Mitarbeiter keine Ahnung hätten, welche Maßnahmen im Sinn des Konzerns wären. Dass oft jährlich stattfindende Umstrukturierungen nicht etwa teure und inneffiziente Beschäftigungstherapie für profilierungssüchtige Topmanager wären, wie auch die anderen beiden Diskutanten meinten, sondern nötig, um die Mitarbeiter aus ihren eingefahrenen Mustern zu holen. Die resultierende Verunsicherung und Demotivation durch dauernde arbeits- und kostenintensive Neuanfänge, die dadurch ausgelösten Frust-Kündigungen? Schulterzucken. Bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage finden sich leicht neue Kräfte.

Mein Einwand, dass die Sucht nach Veränderung um der Veränderung willen, ohne Sachzwänge, in der Psychologie ein Krankheitsbild darstelle, eine Neurose, wurde naturgemäß nur belächelt. Ich habe wohl wirklich keine Ahnung. Die mit zwei- oder Dreijahresverträgen ausgestatteten Manager müssten umstrukturieren, sonst könne man ja nachher behaupten, sie hätten nichts getan. Praktisch an diesem System: wenn die neuen Maßnahmen greifen, sind die Verantwortlichen schon weg und reorganisieren woanders. Eine Evaluierung ist unmöglich, da für einen Misserfolg nicht der Initiator, sondern im Zweifelsfall die Trägheit des Systems und die internen Widerstände verantwortlich gemacht werden.

Überhaupt sollte das untere Management, anstatt sinnloses Augenmerk auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu legen, sich lieber bezüglich zeitgemäßer Führungskonzepte fortbilden.

Bravo! Ich hätte da auch gleich einen Vorschlag: Ein verpflichtendes Kurzstudium der Philosophie beispielsweise. Denn wenn schon Veränderung, dann sollte diese, bevor sie neurotisch der Außenwelt aufgezwungen wird, zunächst einmal in den Köpfen der Entscheidungsträger angestoßen werden. Die könnten lernen selbst zu denken, sich selbst und ihre Motive zu hinterfragen, anstatt sich auf diffuse Experten und gegebene Notwendigkeiten zu berufen. Als Führungskraft ungeeignet ist meiner unmaßgeblichen Ansicht nach nicht derjenige, der die Menschen an erster Stelle sieht, sondern einer, der seine Entscheidungen nur im Hinblick auf das eigenen Fortkommen trifft und mangels Reflexionsfähigkeit nicht in der Lage ist, seine Rolle innerhalb der Gesellschaft zu sehen, geschweige denn verantwortlich auszufüllen.

Aber was reg ich mich auf. Es hätte auch richtig langweilig werden können …

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9 Antworten zu Management by Fear mit Bier

  1. pgeofrey schreibt:

    Sehr passende Beschreibung, einer schlimm gewordenen Manager-Mentalität. Dabei gibt es neben der Ethik und dem Baugefühl, klare Studien die zeigen, dass Unternehmen die mit dem Verunsicherungskarusell betrieben werden, langfristig scheitern. Die Entscheider sind aber nur kurzfristig da und werden nie mit dem Ergebnis ihres Entscheidens konfrontiert.

  2. Elis Fischer schreibt:

    Leider nicht nur Manager- sondern auch Politiker-Mentalität 😦

  3. Das kommt mir so schrecklich bekannt vor …

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