Deutschlandreise, Teil 1

Jetzt aber! Nach der versehentlichen Veröffentlichung eines Stummelartikels mein vollständiger erster Eindruck aus den nachbarlichen Gefilden.

Unerschrocken habe ich mich mit meinem treuen Gefährten von Wien aus auf den Weg gemacht, um die nördlichen Nachbarn, die sommers wie winters in unser Land schwärmen, in ihrem eigenen Lebensraum aufzusuchen. Wie kaum eine andere bin ich durch meinen Lebenslauf für diese heikle Forschungsaufgabe prädestiniert. Selbst ein Mischling (Vater aus Berlin) habe ich den Großteil meiner Schulzeit in Düsseldorf und Umgebung verbracht und bin daher mit Sitten und Gebräuchen der Eingeborenen weitgehend vertraut.

Nicht Düsseldorf, Berlin, Hamburg oder München – Städte, in die es schon so manchen Österreicher vor uns verschlagen hat – sollten unser Ziel sein, sondern der höchste Norden, wo man sich bis in den Abend hinein mit dem Morgengruß bedenkt. Verwirrung pur, wobei – der Abend ist hier spätestens um 21 Uhr zu Ende. Um diese Zeit, da man sich in Italien langsam vom Aperitiv zur Vorspeise bewegt, schließt hier jedes Lokal. „Moin” also von der Insel Amrum!

Amrum ist von Wien etwa gleich weit entfernt wie Marseille, Neapel oder Kiew. Da zudem eine Fähre erreicht werden muss, nähern wir uns dem Ziel in mehreren Etappen. Die sächsische Schweiz, schon mehrmals auf dem Weg nach Leipzig oder Berlin vom Zug aus bewundert, ist unser erstes Ziel.

Bad Schandau empfängt uns mit heftigem Regen und tatsächlich wird es wohl der Überschuss an Wasser sein, der hauptverantwortlich für den tristen Eindruck ist, den der Kurort vermittelt. Die Häuser sind vom Elbhochwasser im Juni schwer in Mitleidenschaft gezogen, die meisten Restaurants und Hotels und fast alle Geschäfte auch in diesen ersten Septembertagen noch geschlossen. Leider auch die Therme, auf die wir für den Fall schlechten Wetters unsere Hoffnung gesetzt hatten. Vom Wasser eingedrückte Scheiben, verrammelte Türen entlang des Dorfplatzes und in den Nebenstraßen noch Monate nach dem Unglück. Auch unser Hotel, das sehr empfehlenswerte Albergo Toskana, hat erst einen Tag vor unserer Ankunft nach Renovierungsarbeiten wieder eröffnet.

Sympathisch: Man fühlt sich jung und schön, da das Durchschnittsalter der ausschließlich deutschen Touristen, die es hierher verschlägt in etwa dem der Besucher des Wiener Musikvereins entspricht. Mit anderen Worten: Wer weniger als sechs Jahrzehnte zählt, darf ohne falsche Scham den Kinderteller bestellen. Apropos Essen: Die von uns getesteten Restaurants hatten mit kulinarischen Genüssen ebenso wenig am  Hut wie mit freundlichem Service. Bestellt z.B.: Putenfilet in feiner Senfsoße mit Paprika-Zwiebel-Gemüse und Bratkartoffeln. Bekommen: ein zähes Stück Fleisch, obenauf eine größere Menge Senf frisch aus der Tube (Würstchenform noch erkennbar) und ein Haufen gedünstete Zwiebel (Paprika war aus). Naja. Essbar, aber nicht genießbar. Da gibt es eindeutig Spielraum nach oben.

Am nächsten Tag – ebenfalls Regen – ein Ausflug nach Dresden. Bei Pirna staut es sich und man kommt nicht umhin zu bemerken, dass hier Wahlkampf herrscht. Kleine Plakate an jedem Laternenpfahl. Die Alternative für Deutschland klagt: „Griechen verzweifeln, Banken kassieren, wir Deutsche zahlen.” Unser Navigationsgerät mischt sich mit kühler Stimme ein: „Keine Alternative verfügbar!”

Da ich Leipzig großartig finde, hatte ich mir von Dresden viel erwartet und vielleicht lag es wieder am Regen, dass ich dann von der Atmosphäre doch enttäuscht war. Zu schamlos bemüht man sich hier die barocke Pracht wiederzubeleben. Die ganze Innenstadt scheint Fassade, die wiederaufgebaute Frauenkirche wirkt innen wie eine billige Theaterkulisse. Als ich dann auf einem Platz eine Baugrube entdecke, auf dem Zaun ein buntes Plakat mit den Worten „Hier entsteht ein Barockensemble” kippt meine Meinung endgültig. So wichtig historische Gebäude für den Charakter einer Stadt sind, so wenig soll man historisierende Kulissen für Einkaufszentren und ähnliches missbrauchen. Der Zeit ihre Kunst!

Wirklich schön dann am nächsten Tag das Wetter und auch unsere Wanderung. Die bizarren Steinformationen übertreffen die im Waldviertel und endlich sind wir so richtig in der sächsischen Schweiz angekommen. Gerade noch rechtzeitig, denn schon geht es weiter …

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4 Antworten zu Deutschlandreise, Teil 1

  1. Elis Fischer schreibt:

    Bitte schreib sofort den zweiten Teil! Das ist köstlich zu lesen 🙂
    LG
    Elis

  2. meinesichtderwelt schreibt:

    Ohje, schlechtes Wetter nach Traumsommer … Dresden entwickelt seinen Charme wahrscheinlich wirklich nur bei blaumen Himmel? Gerade die Frauenkirche leuchtet bei Sonnenschein wirklich atemberaubend schön 🙂 Viel Spaß bei der Deutschlandreise, ich werde mitlesen und freue mich vor allem auf Eindrücke aus Amrum – liebe Grüße von Doris

  3. gudrunlerchbaum schreibt:

    Danke fürs mitlesen, der zweite Teil kommt in den nächsten Tagen und eines kann ich schon verraten: Amrum ist toll!
    Was die Frauenkirche angeht: die ist von außen ja durchaus beeindruckend, ein bisschen märchenhaft direkt. Aber das unechte stört mich halt …

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