„Due settimane in Sardegna?“, rief meine Italienischlehrerin mit ungläubig entsetztem Blick aus. „Zwei Wochen auf Sardinien?“ In diesem Moment war ich nahe daran, die Wahl unseres Urlaubszieles zu bereuen. Sardinien, so relativierte sie angesichts meiner Irritation, wäre nicht für jeden etwas und die Sarden eher finstere, verschlossene Gesellen. Hätte sie gehört. Selbst sei sie noch nicht dort gewesen.
Im Reiseführer las ich von Blutrache, die bis ins letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts nicht unter Kontrolle zu bringen war und Gejagten, die sich in einsamen Verstecken in den Bergen in Sicherheit zu bringen suchten. Da weder mein Mann noch ich die Absicht hatten, ein blutrachetechnisch relevantes Delikt zu begehen, sahen wir das gelassen.
Tatsächlich mussten wir auf manch klischeehafte Ingredienzien, die bisher zu jedem Italienurlaub gehörten, auf Sardinien verzichten. Nicht nur balzende Strandcharmeure, auch architektonische Schätze und zauberhafte Ortschaften, in denen man an jedem zweiten Eck Oh! und an den übrigen Ah! seufzen möchte, haben wir nicht gefunden (wobei unser Radius auf die Ost- und Nordküste beschränkt war). Auch die Qualität des Essens kann mit der auf dem Festland nicht mithalten und um die bella figura scheint sich hier kaum jemand Gedanken zu machen.
Mag sein, dass in den Sommermonaten viele, abgelenkt durch den einen oder anderen Aperitiv und die vielen Schaufenster, die aus dem Boden gestampften bunten Ensembles in Porto Cervo mit authentischer Architektur verwechseln und sich dort auch eine ausreichende Anzahl an Latin Lovers versammelt. In der Nebensaison kann das nicht passieren. Tote Hose ist ein Hilfsausdruck für die Stimmung, die an der Costa Smeralda Ende Mai herrscht. Allerdings waren wir dort nur einen Nachmittag.
Enttäuschte Erwartungen also? Nein! Durch ein befreundetes, höchst sardophiles Paar, dass an der Insel eben das Unitalienische schätzt, waren wir entsprechend eingestimmt worden. Unser Urlaub war traumhaft! Nirgends sonst in Europa habe ich so schöne Strände gesehen. Eine Bucht reiht sich an die andere, meist feinsandig und immer mit malerischen Felsen abgesetzt und oft – ja! – beinahe menschenleer.
Karstige Berge schieben sich bis unmittelbar an die Küsten, Hochebenen voller freilaufender Pferde, Esel, Schweine und – natürlich! – Schafe, überall Schafe. Und alles blüht! Oleanderhecken, Agaven, Ginster, Bougainvilleas, Zylinderputzer (von mir laienhaft als sardische Flaschenbürste tituliert), Palmen und sogar die fleischigen Bodendecker mit dem dreieckigen Blattquerschnitt, deren Namen ich immer noch nicht weiß.
Und letztlich haben wir sogar die perfekte Strandbar gefunden, die für mich irgendwie zu jedem Urlaub gehört. Sie liegt am Capo Testa, dem nördlichsten Zipfel der Insel, hoch oben auf einer Klippe, unweit des sympathischen Städtchens Santa Teresa di Gallura. Das kann zwar nicht mit Gotik oder Renaissance punkten, dafür aber mit einer lebhaften Piazza. Von hier aus ist ein Abstecher mit der Fähre nach Korsika in das pittoreske Bonifacio zwar nicht ganz billig, aber unbedingt zu empfehlen.
Wer Action, Clubs und Bars, Gourmetfutter oder Kultur sucht, der ist auf Sardinien, zumindest in der Nebensaison, mit Sicherheit falsch. Wem der Sinn aber nach Wanderungen, Rad- oder Biketouren in beeindruckender Landschaft oder ganz einfach nach dem perfekten Strand und Erholung pur steht, der und die finden hier den richtigen Ort.
Turista, capisci: non sei in Italia! hatte ein unabhängigkeitsliebender Sarde in meterhohen, schmucklos schwarzen Buchstaben an eine Wand im Hafen von Santa Teresa gesprüht. Tourist, verstehe: Du bist nicht in Italien! Auch wenn es ein wenig nach der Markierung zum Eingang der Hölle klingt – man sollte das an jedem Portal zu dieser Insel vermerken. Wer nicht Italien erwartet, wird von Sardinien begeistert sein.
Hallo Gudrun,
danke für den schönen Artikel. Wundervoll, und toll beschrieben. Weckt die Reiselust. So ähnlich erging es uns Ende April auf Föhr. Nicht ganz so warm, sind ganz so blütenreich, aber ebenso erholsam und nahezu menschenleer. Ich würde jedem Reisewilligen, der es etwas beschaulicher mag, für nahezu jedes Reiseziel die Vor- und Nachsaison empfehlen. Ich habe allerdings unseren Hund über unseren Kurzurlaub berichten lassen. Hat er ganz gut hingekriegt. 😉
Liebe Grüße, Claudia
Danke und deine Begeisterung für Föhr kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich war zwar noch nicht dort, aber gleich nebenan auf Amrum. Wir waren von der Insel auch total begeistert. Näheres hier: http://wp.me/p3bWkc-87
Danke fürs schöne Bild, das du uns gemalt hast. Kling himmlisch, Gudrun! Die Blumen, die du nicht benennen kannst, sind, glaube ich, Mittagsblumen. Die haben wir in Griechenland kennengelernt.
Und was dem „nicht Italien“ sein wollen der Sarden betrifft, kann man das Land Italia mit so vielen Unterschiede eh nicht unter einen Hut bringen. Jede Gegend – besonders außerhalb der Ferienzeit – hat seine Vorzüge, Eigenarten und eventuell auch Nachteile Es gilt sie zu geniessen!
Ja, das hast du völlig Recht! Zwischen Sizilien und Venezien gibt es auch nicht allzu viele Gemeinsamkeiten und doch ist jedes für sich spannend und wunderschön.