Brennnesseln im Flecktarn queren – Lektoratsfreuden

Ob ich für meinen Polit-Thriller Lügenland wirklich bei einem unabhängigen Verlag unterschreiben wolle, fragte mich ein konzernverlegter Kollege. Mit einem qualitativ hochwertigen Lektorat, wie ich es für mein erstes bei Aufbau erschienenes Buch erhalten habe, dürfe ich da nicht rechnen. Papperlapapp!, rufe ich dir, lieber Kollege, heute aus vollem Herzen zu.

Schon bei Vertragsabschluss habe ich Günther Butkus vom Pendragon Verlag um ein gnadenlos strenges Lektorat gebeten. Er konterte souverän, indem er mir über die verlagsinterne Bearbeitung hinaus die externe Lektorin Eva Weigl zur Seite stellte, der ihr Perfektionismus eigenen Angaben zufolge die scherzhafte Bezeichnung böse Frau von Seiten eines Autors eingetragen hatte. Böse, das attestieren mir selbst engste Freunde, kann ich auch sein. Wir haben uns vom ersten Moment an blendend verstanden, die Zusammenarbeit war ebenso produktiv wie vergnüglich.

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Besonders angenehm hat sich für mich Evas bayrische Herkunft bemerkbar gemacht. Erstens wegen des verwandten Humors. Zweitens hat sie sich weder an den Marillenknödeln noch an der Frittatensuppe gestoßen und dennoch Wörter aufgespürt, die für norddeutsche Ohren schlicht falsch klingen. So mussten die Schlapfen zu Schlappen werden, was wiederum meine Ohren beleidigte, weshalb meine Heldin im Buch nun in fremde Sandalen schlüpfen muss. Haarspaltereien, herrlich!

Obwohl ich meine Kommasetzung gegenüber dem Lektorat zu Die Venezianerin und der Baumeister stark verbessert habe, war auch da einiges zu tun. Ich erwähne das nur der Vollständigkeit halber, da ich derartige Eingriffe wie auch Korrekturen von Rechtschreibfehlern nur stumm abnicke. Brennnesseln! Wie viele ns denn noch?

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Lieblingswörter oder -wendungen, die sich unbemerkt viel zu oft in unsere Texte einschleichen, haben wir wohl alle. Mein Testleser Rainer Neumüller hatte da schon im Vorfeld gute Arbeit geleistet. Ihm zuliebe hatte ich das Wort kitzeln weitgehend ausgemerzt. Eva Weigl war strenger. 8 mal hetzen in 150 Seiten und 2 mal den Schritt bremsen ließ sie nicht durchgehen. Gar nicht so einfach, wenn man sich zu Fuß auf der Flucht befindet. 12 mal auf letztlich 432 Seiten querte meine Protagonistin Wiesen, Plätze oder Brücken, nur 5 Querungen durften bleiben. Und dass meine Leute dauernd die Zähne zusammenbeißen müssen … Klar, sie haben allen Grund dazu, dennoch — schlecht für die Zähne.

Ich verdanke dem Lektorat suggestive neue Wörter wie den Flecktarn, der meinen profanen Tarnanzug ersetzte und die Erkenntnis, dass man sein Kinn besser auf verschränkten Fingern als auf gefalteten Händen ablegt. Bei bösem Dröhnen verhaspelt man sich auf Lesungen leicht und wenn Brummer brausen ist das eindeutig zu viel der Alliteration, wenn man nicht auf Comedy aus ist.

Was meiner Arbeitsweise sehr entgegenkommt: Eva ließ machte mich auf problematische Formulierungen aufmerksam, änderte sie aber zumeist nicht, sondern regte in einem Kommentar Überarbeitung an, über die ich dann wieder selbst nachdenken musste. Da ich eine sehr genaue Vorstellung davon habe, wie meine Sprache klingen soll, spart das viele Neuüberarbeitungen von eben Korrigiertem.

Abgesehen von der Suche nach dem richtigen Ausdruck ist der Blick von außen aber vor allem unersetzlich, um inhaltlichen Unschärfen und Logikfehlern auf die Spur zu kommen. Wer sich nie gesetzt hat, muss nicht aufstehen und Hände werden hinter dem Rücken gefesselt, können demzufolge im Auto nicht auf dem Schoß liegen. Der größte Brocken war für mich eine Szene, in der ein Charakter seinen sehr spezifischen Tonfall gegenüber einer früheren Szene zu stark verändert hatte. Niemandem außer mir war das aufgefallen und da ich es auf Anhieb einfach nicht besser hinbekam, dachte ich faul, es ginge so durch. Nicht bei Eva Weigl. Nach anfänglichen eher reflexartigen Protesten schrieb ich also gute vier Seiten völlig um, kaum ein Stein blieb auf dem anderen und was soll ich sagen — gut so!

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Manchmal diente das hartnäckige Hinterfragen jeder Formulierung auch nur dazu, mich der beruhigenden Tatsache zu versichern, dass ich im Großen und Ganzen weiß, was ich tue. Was stringente Perspektive und sparsame Verwendung von Adjektiven angeht beispielsweise.

Ein größeres Korrekturfeld blieb uns während des Lektorats erspart, weil ich es mit Hilfe meiner lieben Kollegin Ella Theiss bereits im Vorfeld beackert hatte. Einige allzu didaktische Passagen voller ausführlicher Informationen zum politischen Hintergrund mussten rigoros ausgedünnt werden, da sich der Wissensstand der Leser mit dem tatsächlichen Eintritt zum Zeitpunkt des Schreibens fiktiver Ereignisse geändert hatte. So sind beispielsweise seit der Eskalation der Migrationsbewegungen im letzten Jahr jedem die unterschiedlichen Positionen zum Thema gegenwärtig. Leider, möchte ich fast sagen.

Allen, die dazu beigetragen haben, den Text meines Romans besser zu machen, danke ich hiermit!

Zum Schluss noch ein Triggerwarning: Eine Katze stirbt. Ja, auch Menschen. Muss sein.

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Der Bericht über das Lektorat zu meinem historischen Roman ist hier nachzulesen.

 

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