Homestory oder: Die Überwindung von Radikalen mithilfe ungesüßter Erfrischungsgetränke

Am letzten Sonntag, dem ersten im Juni, beschloss ich zu laufen. Nicht zu gehen, nicht zu rennen, nein, der Fitness zuliebe zu laufen — ein gnadenloser Selbstversuch, um dem fortschreitenden körperlichen Verfall Einhalt zu gebieten. Andere machen das auch. Ob es funktioniert kann ich in ihren verquält-asketischen Gesichtern leider nicht zuverlässig ablesen. Wer weiß schon, wie die sonst aussähen. Also Selbstversuch.

Gleich nach dem Frühstück und einem versemmelten Sudoku lief ich los, barfuß selbstverständlich, um unmittelbar mit dem Untergrund in Kontakt zu treten. Anders als bei meinem letzten derartigen Versuch vor über zwanzig Jahren, als ich im Schlosspark Schönbrunn auf der grausam ansteigenden Geraden zur Gloriette erbärmlich verreckte, lief es diesmal prächtig. Runde um Runde spulte ich ab und geriet bald in den meditativen Zustand, der von Ausdauersportlern so oft beschworen wird. Gedankenfetzen verdichteten sich zu Romanideen und Konzepten für philosophische Essays und schließlich war, wie aus dem Nichts, eine Lösung für eines der drängenden Probleme unserer Zeit geboren.

Doch von vorne. Ich liebe Soda-zitron. Für alle Nicht-Österreicherinnen: Es handelt sich dabei um frisch gepressten Zitronensaft, mit Soda oder Mineralwasser aufgespritzt. Kein Zucker, kein Ingwer-Basilikum-Melisse-Gewese, einfach nur Zitrone und Sprudelwasser. Soda-zitron ist meinen Geschmacksnerven die einzig trinkbare Alternative zu Wasser, Bier, Wein und Höherprozentigem und gehört, bitte, endlich auf die Karten aller Gastwirtschaften dieser Welt.

Zitrone, das wissen jetzt sicher wieder alle, enthält viel Vitamin C, stärkt das Immunsystem, reguliert den Säure-Basen-Haushalt. Und sie enthält wertvolle Antioxidantien. Antioxidantien wirken gegen freie Radikale, Moleküle, die unsere Zellen angreifen und funktionsuntüchtig machen.

Radikale. Die unser System zu zerstören trachten, arbeitete es in meinem Kopf, während ich immer noch federnden Schrittes Meter um Meter der vor mir liegenden Strecke aufspulte. Rechtsradikale Identitäre, radikale Islamisten, dumpfe Extremisten aller Art. Neutralisiert mithilfe von Zitronensaft. Soda-zitron flächendeckend in den Schulen ausgeschenkt, im Anschluss an Gottesdienste in Kirchen und Moscheen kredenzt, auf Burschenschafterbuden heimlich ins Bier gemischt — konnte es tatsächlich so einfach sein?

Das Brennen in meinen Waden steigerte sich ins Unerträgliche. Durchhalten, hatte mein fitnessbesessener Mann versichert, wäre dagegen das einzige Rezept, dann würde es wieder nachlassen. Ich versuchte, mich mit meinem eigenen Rezept zur Rettung der Menschheit abzulenken. So-da-zi-tron, So-da-zi-tron, atmete ich,  doch nun begann es auch im Lendenwirbelbereich zu schmerzen, Hexenschuss drohte, gar Bandscheibenvorfall, und wie aus weiter Ferne drang die Stimme meines Mannes in meine Versunkenheit: Ehrlich gesagt, nervst du ein bisserl. Seit fünf Minuten trabst du jetzt rund um das Sofa. Was soll das? Kann ich dir einen Kaffee machen? 

Immerhin: Wenn mich wieder einmal jemand fragt, woher ich die Ideen zu meinen Texten nehme, dann kann ich jetzt endlich sagen: Die kommen mir beim Laufen.

 

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