Krimis machen 3 – so war’s für mich

KM3

In der letzten geselligen Pause des dreitägigen Kongresses Krimis machen 3 in Hamburg stehen wir mit unseren Kaffeebechern vor den Toren der Zinnschmelze und erwarten gespannt den letzten Punkt der Tagesordnung: das Resumé. Nach vier Podien, zwei bis sechs Workshops, mehreren Abendveranstaltungen und ausführlichen Diskussionen in den Pausen sind wir vollgestopft bis zum Überquellen mit Anregungen, Fragen und Inspiration zu den unterschiedlichsten Themen, gleichzeitig angenehm betäubt von der Vielfalt der Zutaten, die gerade dabei sind, sich in unseren Köpfen zu einem harmonischen Ganzen zu verquirlen, Long Island Ice Tea im Hirn.

Das heiß ersehnte Minzblättchen, das zur leichteren Verdauung der Melange hätte beitragen können, versagt uns Else Laudan in ihrer Verabschiedung dann allerdings mit der Forderung, es möge doch jeder sein eigenes Resumé ziehen. Nachdem der Kongresskater abgeflaut ist, will ich vorerst meine wichtigsten Eindrücke für mich und euch zusammenfassen. Diese Tagung wird jedenfalls nachwirken, sowohl inhaltlich als auch aufgrund der vielfältigen Kontakte und der allgemeinen Bereitschaft, sich miteinander auseinanderzusetzen (eine Wortkombi, die schon alles sagt, über die befruchtende Mischung aus Kontroverse und Harmonie).

Bereits die Beschreibung der Veranstaltung machte deutlich, was immer wieder zu hören war: Wir sind arthouse. Um die Entwicklung der Kriminalliteratur und ihre gesellschaftliches Relevanz sollte es gehen. Einen generellen Trend, in welche Richtung sich der Krimi in all seinen unterschiedlichen Ausprägungen entwickeln soll oder wird, kann ich demzufolge auch nicht ausmachen.

Dennoch kristallisieren sich einige Ansatzpunkte heraus, die jeder Art von Literatur gut täten. Herausgreifen möchte ich hier zum Ersten die Bedeutung des Raumes, der nicht gleichbedeutend mit dem Schauplatz zu sehen ist. Der Raum, in dem wir unsere Handlung ansetzen, gebiert Figuren, definiert Tempo und Rhythmus, kann politisch gefüllt werden, zur Verwirrung und Entfremdung durch Ortswechsel oder zur Beheimatung führen. Er kann unkonventionell durch Klänge, Farben oder Bewegung definiert werden und sogar als Protagonist in den Vordergrund rücken. Dieses Potential verschenkt, wer ihn als reine Kulisse betrachtet.

Die zweite Anregung, mit der jeder auch in vermeintlich unpolitischem Kontext zur Verbesserung der Welt (jaja, romantisch) beitragen kann: Das Hinterfragen von Klischees, Stereotypen, traditionellen Reflexen, die uns zwar alle prägen, unsere Welt jedoch nicht mehr so abbilden, wie sie ist, schon gar nicht, wie sie werden sollte. Auch die Ärztin und der Krankenpfleger helfen Patienten und ein Richter muss nicht weiß sein.

Die Macht des Klischees und der Wunsch sie zu brechen

Damit komme ich zu dem Thema, das sich aus meiner Sicht durch alle Ebenen der Tagung zog: Die Macht des Klischees und der – nicht immer von allen geteilte – Wunsch sie zu brechen. Gleich drei der von mir besuchten Veranstaltungen widmeten sich aus unterschiedlichen Blickpunkten dieser Problematik: Die von den HERLAND-Autorinnen Zoë Beck, Simone Buchholz, Monika Geier und Doris Gercke bestrittene Lesung unter Moderation von Else Laudan am Freitagabend mit dem Titel Die Welt wahr(!)nehmen . Ganzheitlicher Realismus im Kriminalroman. Das Podium II . Bitch oder Bastard und Podium IV . Das >Eigene< und das >Fremde<.

Launig schildert in der letztgenannten Podiumsdiskussion der Schauspieler Murali Perumal seinen Kampf um hautfarbenunabhängige Rollen. Als Deutscher mit indischem Vater scheint er abonniert auf die klischeegerechte Darstellung von Taxifahrern, Mafiosi und Flüchtlingen, ganz gleich welchem fernen Land sie entstammen, scheitert jedoch daran, beispielsweise als deutscher Staatsanwalt besetzt zu werden, und dies obwohl es in Deutschland eine eigene Vereinigung indischer Juristen gibt. Die Abbildung der Realität wird dabei gerne mit dem Argument verweigert, Deutschland sei noch nicht so weit. Auch die Autorin und Filmemacherin Merle Kröger, gebürtige Schleswig-Holsteinerin, findet sich oft nach rein optischen Gesichtspunkten über ihre teils indische Herkunft definiert.

Hier herrschte meiner Wahrnehmung nach völlige Einigkeit bezüglich der Notwendigkeit, Rassismen und mit dem vermeintlich Fremden verbundene Stereotypen zu überwinden. Die Kriminalliteratur als das am Stärksten welthaltige Genre hat die Aufgabe, die Realität wahrzunehmen, abzubilden, zu reflektieren und durchaus auch eine gewünschte Realität darzustellen. Autorinnen und Autoren sind mutig genug, ihre eigenen Vorurteile zu hinterfragen und zu brechen. Eine erwartbare Schlussfolgerung in einem Forum wacher, aufgeklärter Kulturschaffender.

Frauen drängen ins Team

Umso befremdlicher die Erkenntnis, dass die Darstellung weiblicher Lebensrealitäten und die Anerkennung von Autorinnen im Allgemeinen als weniger selbstverständlich betrachtet wird. Eigene Vorurteile und Automatismen in der Geschlechterzuschreibung kritisch zu betrachten, fällt so manchem Kollegen, Kritiker oder Verlagsmenschen offenbar immer noch schwer. Die durch Zahlen eindeutig belegte Benachteiligung von Autorinnen, nachzulesen unter anderem in diesem Artikel von Kirsten Reimers, wird beiseite gewischt. Bücher von Frauen werden signifikant seltener ausgezeichnet und im Feuilleton besprochen. Schreiben sie also schlechter? Schulterzucken.

Es geht schließlich um etwas Anderes, um wichtige Themen, brisante Handlung, die große Welt versus die kleine der Frauen. Auf die sie gerne festgenagelt werden, weil beispielsweise politische Stoffe von Frauen mit Protagonistinnen nur von sehr wenigen Verlagen gekauft werden. Politik sei Männersache, heißt es dann, was in diesem Forum allerdings niemand laut glauben will.

Zwei Frauen stehen am Tennisplatz, daneben das Golfcabrio. Da kann man sich gleich etwas vorstellen, meint Matthias Wittekind im Podium III . Urban Streets und Country Noir, in dem es eigentlich um den Schauplatz und seine Bedeutung im Genre gehen soll. Seine suggestive Besetzung eines imaginierten Raumes ist nur eines von zahllosen Gender-Klischees, die uns im Lauf dieses Kongresses so nebenbei um die Ohren fliegen. Nicht alle sind so eindeutig in den Achtzigern steckengeblieben. Da werden ernsthafte Kritiker im Feuilleton in Gegensatz zu inkompetenten Bloggerinnen gesetzt oder drei Männer reißen minutenlang die Diskussion über die Darstellung von Gewalt im Genre an sich, indem sie sich über technische Daten automatischer Waffen austauschen. Usw …

Eines der großen Missverständnisse in der Genderdiskussion bringt Ulrich Noller auf den Punkt, als er vom Podium herab erklärt, er fände die Frontenbildung Frauen gegen Männer unnötig. Schön, dass wir uns einig sind! Auch Feministinnen wollen keine gegnerische Mannschaft aufstellen. Wir wollen in eurer Mannschaft mitspielen. Inspirierte Autorinnen und eigenwillige Protagonistinnen brennen auf ihre Torchance. Offenbar herrscht eine gewisse, möglicherweise berechtigte Angst, dass durch diese Vergrößerung des Teams der eine oder andere um seine künftige Aufstellung zittern muss. Dem Ziel, hervorragende Kriminalliteratur in die Welt zu bringen, dient eine breitere Basis jedoch ebenso wie die Ergänzung durch weibliche Blickpunkte, die nicht zuletzt für mehr Realismus stehen. Qualität soll sich doch durchsetzen, oder? Trau dich, du Mädchen!, hörte ich einen arrivierten Autor zu einem Kollegen in anderem Zusammenhang sagen …

Wer schreibt über wen?

Die spannende Frage, wer über wen schreiben kann, darf oder soll wurde in mehreren Panels beleuchtet und nach teilweise kontroversiellen Diskussionen meinem Gefühl nach recht einhellig beantwortet: Jeder darf über alles schreiben. Gut und vor allem glaubhaft muss es sein. Diesem Thema möchte ich bald noch einen eigenen Artikel widmen.

Marketing

In den Panels über Kritik und ihre Auswirkungen und darüber, wie man neue Spannungstitel und Debuts am Markt platziert, gab es einige Überraschungen. So führte die geringe Bedeutung, die Buchhändlerinnen Rezensionen attestierten, zu langen Gesichtern bei Verlagsmenschen und Autorinnen. Dass gleich zwei Buchhändler zudem angaben, die Aufkleber der Spiegel-Bestsellerliste und teils auch jene renommierter Buchpreise vor dem Aufstapeln der Bücher zu entfernen, kratzte auch am Glauben an diese beliebten Marketing-Maßnahmen. Anstelle von ausufernder Werbung für Spitzentitel, die sich ohnehin verkaufen, wünscht sich der Buchhandel persönliche Ansprache und vertiefendes Material in Form von Biografien und Interviews, um Debuts besser verkaufen zu können.

Und nun?

Nach dem Kongress ist vor dem Kongress. In zwei Jahren findet Krimis machen 4 in Köln statt und ich will wieder dabei sein. Ein mit Sicherheit kontroversielles Thema für ein Podium hätte ich auch schon: Escape oder Enter – vom Wunsch aus der Realität zu fliehen und der Notwendigkeit sich mit ihr auseinanderzusetzen.

Auch wenn jeder bei so einer Veranstaltung natürlich auch eigenen Ziele verfolgt, entsteht die besondere Atmosphäre durch die Gemeinschaft. Autorinnen und Buchhändlerinnen, Kritikerinnen und Verlegerinnen, Lektorinnen und Übersetzerinnen, wir alle sind Buchmenschen. Miteinander zu diskutieren, zu lachen, zu streiten, zu essen und zu trinken, und über das zu sprechen, was uns inspiriert und umtreibt, macht neben allen fachlichen Erkenntnissen schlicht Spaß.

Was auch noch sein muss: Ein fettes Lob an das Team, das für die makellose Organisation gearbeitet hat. Vielen Dank Robert Brack, Nina Grabe, Else Laudan, Torsten Meinicke und Karen Witthuhn!

Wer in diesem Artikel Themen vermisst, die sie oder ihn auf dem Kongress stärker bewegt haben – bitte ergänzt mich in den Kommentaren!

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2 Antworten zu Krimis machen 3 – so war’s für mich

  1. gudrunlerchbaum schreibt:

    Zur Ergänzung: Hier hat Hans Peter Röntgen seinen Eindruck festgehalten, der sich in der Gewichtung doch stark von meinem unterscheidet. https://hproentgen.wordpress.com/2017/09/06/krimis-machen-in-der-heilen-welt-der-literatur/

  2. Pingback: Krimis machen in der heilen Welt der Literatur – Hans Peter Roentgen

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