Zeitlose Kraft oder: Der ängstliche Rezensent

Er würde sehr gerne mein Buch rezensieren, benachrichtigte mich der Redakteur eines österreichischen Mediums, da er Wo Rauch ist für ein Stück hervorragender Literatur halte.

Nur zu!, dachte ich, höchste Zeit, dass die Welt davon erfährt. Doch ich hatte mich zu früh gefreut, denn leider, so schrieb der Mann weiter, sähe er ob der allzu regierungskritischen Haltung des Buches unter den derzeitigen Umständen keine Chance das (in der Redaktionskonferenz?) durchzubringen. Um sich nicht in die Nesseln zu setzen, verzichte er also auf die Rezension, wolle mir aber ein Feedback nicht gänzlich vorenthalten. Wunderbare Charakterzeichnung, las ich betäubt weiter, sensibles Eintauchen in die Gefühlswelt einer chronisch Kranken. (…) Hätte das Drama ohne Seitenhiebe auf die aktuelle Politik nicht womöglich sogar zeitlosere Kraft erlangt?

Atemnot. Ist das jetzt so in Österreich? Muss die jahrelang beschworene Welthaltigkeit von Literatur nun zeitloser Kraft weichen, damit wir es uns nicht mit den Mächtigen verscherzen? Wie viele Rezensenten denken womöglich ebenso und machen sich nicht die Mühe, mir dennoch positives Feedback zu geben? Ist vorauseilender Gehorsam und Selbstzensur bei der Themenwahl ein probates Mittel zur Wahrung der Pressefreiheit geworden? Oder bin ich nur zu arglos zu erkennen, dass schon immer die eigene Geisteshaltung einer wirklichen oder vermuteten Gesinnung  des Arbeitgebers untergeordnet wurde?

Doch noch zwei Jahre zuvor hatten selbst konservative Tageszeitungen meinen politisch wesentlich brisanteren Roman Lügenland durchaus wohlwollend rezensiert. Der  beschrieb allerdings noch lange vor der Wahl der rechts-populistischen Regierung ein damals dystopisches Szenario einer faschistoiden Demokratur, die sich inzwischen in rasendem Tempo der Realisierung zu nähern scheint.

Im aktuellen Roman hingegen steht in Bezug auf den politischen Hintergrund der Handlung nichts, was nicht jetzt schon real oder unter den beschriebenen Umständen wahrscheinlich wäre. Dass der rechtsradikale österreichische Innenminister die Gelegenheit ergreifen würde, einen Mord in der Community zur allgemeinen Diffamierung muslimischer Menschen zu instrumentalisieren, bezweifelt wohl kaum jemand. Dass er trotzdem sein Amt ausüben darf, liegt daran, dass seine Wähler diese Einstellung begrüßen und seine Koalitionspartner und viele andere ihre Augen davor verschließen. Sogenannte besorgte Bürger brauchen nur einen Funken, um sich wie im Buch zu selbstjustiziellen Erziehungs- oder Vergeltungsmaßnahmen berufen zu fühlen, das wissen wir spätestens seit den Ereignissen Ende August in Chemnitz.

Die Bedenken des Redakteurs können also nicht einem vermeintlich unrealistischen Szenario gelten, sondern nur der Tatsache, dass dieser politische Hintergrund im Buch als bedrohlich dargestellt wird, während er seinem Dienstgeber wünschenswert erscheint. Und hier, denke ich, irrt der Mann. Naiv oder nicht, noch kann ich mir in unserem Land kein halbwegs ernst zu nehmendes Medium vorstellen, das ein Urteil über die literarische Qualität eines Buches komplett der politischen Opportunität des darin beschriebenen Szenarios unterordnet. So weit sind wir doch noch nicht, oder? Aber mithilfe von vorauseilendem Gehorsam, Ängstlichkeit und dem Abwenden des Blickes kommen wir schneller dorthin als uns lieb ist.

Ich danke also dem Redakteur für seine freundliche Privat-Rezension, verspreche seine Anonymität wie gefordert zu wahren und wünsche ihm mehr Mut. Noch ist nichts dabei seine Meinung zu sagen, hoffe ich jedenfalls.

Hinsehen. Erzählen. Riskieren.

 

Stellvertretend für die KollegInnen, denen solche Skrupel nicht in den Sinn kommen, hier eine Rezension meines Romans von Peter Pisa im Kurier.

 

 

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3 Antworten zu Zeitlose Kraft oder: Der ängstliche Rezensent

  1. 500woerterdiewoche schreibt:

    Wow. Ja, ich hoffe, der Redakteur findet seinen Mut wieder. Und ich hoffe, es kommt nicht so weit, wie er zu glauben scheint, dass es bereits ist…

  2. Pingback: Gudrun Lerchbaum: Wo Rauch ist | crimenoir

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